Schutzmantelzelt
Das Schutzmantelzelt
ist ein übergroßes, begehbares Zelt in Form eines Mantels. Darauf Stickereien von 140 Menschen aus 17 Ländern. Geschichten vom Teilen, von Verbindung, Zartheit und Schutz.
www.astrid-j-eichin.de
Das Kunstprojekt beginnt am 21.09. 19 Uhr mit einem Eröffnungsgottesdienst in St. Jodok, Ravensburg.
Vom 24.10.-07.12.25 ist es in Leutkirch St. Martin zu Gast.
Fotos: A. Eichin
Unterm Schutzmantel zelten
Das Kunstwerk von Astrid Eichin mit Händen von über 140 Freiwilligen ist in Ravensburg und Leutkirch bei Veranstaltungen und in Stille zu erleben.
Bei Campingfreunden weckt ein Zelt Erinnerungen an den vergangenen Sommerurlaub, Geflüchteten oder von Erdbeben Betroffenen bieten Zelte wenigstens ein provisorisches Dach über dem Kopf. Daran erinnerte Gemeindereferentin Christine Mauch bei der Begrüßung des Schutzmantelzeltes am Sonntag in der Ravensburger Jodokskirche. Die Lörracher Künstlerin Astrid Eichin, die aus diesem Anlass nach Oberschwaben gekommen war, hatte schon den Martinusmantel geschaffen, der sich 2016 auf den Weg machte durch verschiedene Diözesen an der neuen Mittelroute des Martinuswegs. Das aktuelle Projekt - ein überdimensionaler Schutzmantel als Außenhaut eines begehbaren Zeltes - entstand während der Coronapandemie.
Eichin lud damals über Zeitungen und Internetkanäle unterschiedliche Menschen ein, Hände zu sticken und ihr zu schicken. Der Postbote habe jede Menge Pakete gebracht, erzählt sie. Am Ende nähte sie Stoffstücke von über 140 Personen aus 19 Ländern auf den Mantel in T-Form mit weit ausgebreiteten Ärmeln. "Ich kenne die meisten der Sticker und Stickerinnen nicht, aber ich weiß von allen die Namen - und ihre Geschichten", fügt die Künstlerin hinzu. Die etwas unbeholfen wirkenden grünen Hände einer Polin landeten ganz oben. "Weil sie so mutig war", begründet Eichin. Die Frau hatte noch nie gestickt, wollte aber unbedingt beim Projekt mitmachen. Darunter platzierte sie den Beitrag einer Frau aus Mazedonien, deren linke Hand keine Finger hat. Sie hatte gefragt, ob sie "auch so" teilnehmen darf.
Darum herum hängen viele sehr kunstvolle Arbeiten, auf denen häufig Regenbögen, Friedenstauben und Weltkugeln als universelle Symbole auftauchen. Auch diese Schönheit habe hier ihren Platz. "Aber um sich in dem zu zeigen, was fragil und zart ist, braucht es einen geschützten Raum", ergänzt Eichin. Das Bild mit einer geöffneten linken Hand in Blau und einer zur Faust geballten rechten in Rot stammt von einer Linkshänderin, die in einer Ordensschule ständig ermahnt wurde, "das schöne Händchen" zu nehmen. Sie hatte seit dieser Zeit nicht mehr gestickt. Die Künstlerin ist aber überzeugt, dass ihr "Geschichtenmantel" auch spricht, wenn die Betrachtenden diese Hintergründe nicht kennen.
Auf dem Mantelstoff sind unter den aufgenähten Kunstwerken Kreise zu erkennen, die sich wie eine helle Heftnaht vom nachthimmelblauen Hintergrund abheben. Sie stehen laut Eichin für Begegnungen und überschneiden sich besonders in der Herzgegend, wo sie mit Schatzkartenkreuzen übersät sind. Schon im biblischen Buch Exodus stehe das Zelt auch für einen Ort der Begegnung mit Gott und als Zeichen seiner Gegenwart, erläuterte Dekanatsreferentin Karin Berhalter im Eröffnungsgottesdienst. Die Mitfeiernden konnten wie Mose die Schuhe vor Gott ausziehen und das Schutzmantelzelt durchschreiten. Auch das Brot für die Agapefeier stand am Eingang des Zeltes. Denn wörtlich übersetzt heiße es im Johannesevangelium auch über Jesus, dass "das Wort Fleisch wurde zeltend unter uns".
Berhalter hatte die Künstlerin schon länger im Blick. Als sie vom Schutzmantelprojekt erfuhr, nahm sie Kontakt zu Eichin auf. Hier gehe es um mehr als um Kunst, sondern auch um die Gesellschaft und die vielen Menschen, die schutzlos sind. Zusammen mit ihrem Dekanatskollegen Benjamin Sigg vom Netzwerk Allgäusegen und Cityseelsorgerin Mauch überlegte sie: "Zu wem passt das Thema Schutzmantelzelt." Sie sprachen in Ravensburg und Leutkirch, wohin der Mantel Ende Oktober in die Martinskirche umzieht, kirchliche und außerkirchliche Personen und Einrichtungen an, die mit Verletzlichkeit und Schutz zu tun haben, darunter die Caritas, das Zentrum für Psychiatrie, Hospizgruppen, die Stiftung Kinderchancen, aber auch Kindergärten und Schulen.
An beiden Orten beleuchtet ein umfangreiches Programm im und rund ums Zelt das Thema Schutz informativ, kreativ und musikalisch. Neben den vielen Veranstaltungen rät Astrid Eichin, auch mal in die jeweilige Kirche zu gehen und das Schutzmantelzelt zu erleben, wenn sonst niemand da ist. Bei einer früheren Ausstellung in Basel habe ihr ein Mann erzählt, berichtet die Künstlerin, dass er mit seiner an Demenz erkrankten Frau die Kirche aufgesucht habe. "Sie haben sich einfach im Zelt hingelegt und die Stille genossen."
(Bericht und Fotos Markus Waggershauser, drs.de)